Hagen Peukert (59), geboren in Gießen (Hessen), ist seit 1980 Berufssoldat; direkt nach dem Abitur ging er zur Bundeswehr. Als Offizier wird er oft in Auslandseinsätze geschickt. 2003 soll er in Afghanistan nur ein paar hundert Meter von einem Hospital entfernt gewesen sein, das vermutlich Osama Bin Laden behandelt hatte.
Zwischen 2009 und 2013 steht Peukert im Dienste der Vereinten Nationen in New York. Seine Auslandsexpertise wird im Jahr 2012 einmal mehr benötigt. In Syrien tobt ein Krieg, der bis heute anhält. Die Vereinten Nationen schicken eine unbewaffnete Beobachtungstruppe nach Syrien. Als einziger Deutscher gehört auch Hagen Peukert dem Vorkommando dieser Truppe an.
Die Erlebnisse vor Ort erschüttern und verfolgen den Berufssoldaten nachhaltig. Und so beschließt der inzwischen in Falkensee lebende Hagen Peukert, die Geschehnisse vor allem von April bis Juni 2012 in einem Tatsachenbericht zu verarbeiten. Er ist unter dem Pseudonym Eric Hagen gerade erschienen. Das Buch trägt den Titel „Axt im Kopf“.
Hagen Peukert: „Ich habe bereits in der Vergangenheit zwei Bücher geschrieben. Das waren 2011 ‚Skorpione ohne Ausweg‘ über meine Erlebnisse in Bolivien und Afghanistan und 2013 ‚Die verwaiste Bombe‘ über den Schmuggel von nuklearwaffenfähigem Material. In allen Romanen wirkt mein Alter Ego Fritz Traut als Hauptfigur, um meine niedergeschriebenen Erlebnisse besser erlebbar zu machen. Das ist auch gut so, denn Fritz Traut kann ich Sätze in den Mund legen, die ich selbst so vielleicht nie sagen würde.“
Auch die ersten beiden Bücher haben sich sehr an tatsächlichen Ereignissen orientiert. Sie waren aber nicht so im Stil einer Reportage verfasst wie das neue Buch. Das ist 2020 im Pixel-Print Verlag erschienen und zurzeit nur als e-Book bei Amazon zu beziehen. Eine Print-Ausgabe ist in Vorbereitung.
Worum geht es? Hagen Peukert: „Um den in 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg in Syrien 2012 zu befrieden, unternahm die UN unter Leitung ihres ehemaligen Generalsekretärs Kofi Annan Versuche, die Konfliktparteien in einem ersten Schritt zu einem Waffenstillstandsabkommen zu bewegen. Ich nahm als Offizier bei den Vereinten Nationen an diesen Verhandlungen teil, die zunächst an der harten Haltung des Assad-Regimes und der Sturheit der syrischen Generäle scheiterten. Erst nach Intervention Russlands kam dennoch ein Abkommen zustande, dem sich die Aufständischen aber nicht anschlossen, sondern es nur tolerierten. In diesem Rahmen begann der hastige Aufbau einer auf 300 Mann begrenzten Waffenstillstandsbeobachtermission, die von Beginn an mit internen Schwierigkeiten und größten operativen Hindernissen und Herausforderungen zu kämpfen hatte.“
Das Buch „Axt im Kopf“ bietet die einmalige Gelegenheit, einmal unter kompetenter Anleitung in den für außenstehende Europäer nur schwer verständlichen Syrienkrieg einzutauchen, der schließlich auch eine beispiellose Flüchtlingswelle zur Folge hat, mit deren Folgen auch Deutschland zu kämpfen hat.
Hagen Peukert: „Von Anfang an war der Krieg in Syrien kein reiner Krieg des Assad-Regimes gegen die Rebellen. Viele andere Länder mischten sich ein, um ihren Vorteil zu suchen. Zunächst haben vor allem der Iran, die Türkei, Katar, Saudi Arabien und Russland aktiv Einfluss genommen, auch Israel gehörte dazu. Die USA haben sich erst später beteiligt. Aus dem Irak machte sich dann auch der Einfluss des Islamischen Staates bemerkbar. Klar ist: Was in Syrien passiert, kann man nicht komplett durch eine rein schwarz-weiße Brille betrachten. Es ist sehr komplex und kompliziert, was dort passiert – und vieles ist längst zu einem Stellvertreterkrieg ausgeartet. Da so viele Länder völlig gegensätzliche Interessen in Syrien ausfechten, habe ich für mich, der ich mehrfach vor Ort war, zurzeit keinerlei Hoffnung, dass dieses Land in naher Zukunft Frieden findet.“
Wer auf der Fährte von Peukerts Alter Ego Fritz Traut den Geschehnissen von 2012 in Syrien nachspüren möchte, wird mit einem überaus detailliert, fachkundig und politisch einordnend geschriebenen Bericht belohnt, der sich spannender, schockierender und immer wieder auch aufwühlender liest als jeder fiktionale Politikthriller.
In „Axt im Kopf“ beschreibt der Autor Begegnungen mit Rebellen im belagerten Homs, amateurhafte Minenräumoperationen, Raketenangriffe auf die Unterkunft und Verschüttung in den Trümmern, Begegnungen mit syrischen Soldaten und Rebellen in Idleb, die unterschiedlichen nationalen Interessen der eingesetzten UN-Offiziere, die Bedrohung durch Giftgas, eine zeitweilige Entführung von UN-Personal durch Al Qaida nahestehenen Gruppen, die Entwicklungen im engsten Umfeld Assads, die Rolle Israels und des Irans, verheerende Autobombenanschläge in Damaskus, den Beschuss durch syrische Rebellen und eine glückliche Flucht aus Ghouta, den Anschlag auf den UN-Kommandeur bei Derr’a, den Aufbau einer leistungsfähigen Informations- und Nachrichtenorganisation sowie die Verbindungen zu zahlreichen extremistischen Gruppen und deren islamistische Unterwanderung. Eine Menge komprimierter Stoff für ein etwa 332 Seiten dickes Buch.
Hagen Peukert: „Einen besonderen Raum im Buch gebe ich dem Massaker in Houla. Hier wurden an einem helllichten Tag durch Shabiha-Milizen mehr als 200 Menschen, darunter mehr als 40 Kinder, in unvorstellbarer Weise ermordet und massakriert. Ich war direkt nach dem Ereignis vor Ort und habe mir alle getöteten Kinder angesehen, eins nach dem anderen. Ich dachte mir: Wenn diese Kinder niemanden hatten, der sie beschützt hat, dann sollten sie wenigstens jemanden haben, der über sie schreibt. Das Massaker darf nicht unerwähnt bleiben, es darf nicht vergessen werden. Es hat dem Buch auch seinen Namen gegeben. Erst sollte es ‚#33 Axt im Kopf‘ heißen. Denn ich sah einer UN-Mitarbeiterin beim Erfassen einer ersten Todesliste über die Schultern. Da gab es auf der Liste noch keine Namen, nur Nummern. Nummer 33 war ein kleines Mädchen. Und bei der Todesursache schrieb die UN-Mitarbeiterin: ‚Axt im Kopf‘. Das ist unvorstellbar. Das sind Erlebnisse, die bis heute in mir nachhallen und die mich nicht mehr loslassen. Es gab bislang noch keine vernünftige Aufarbeitung dieses Massakers, weder auf ziviler noch auf militärischer Ebene.“
Die erste Frage lautet natürlich: Stimmt alles so, wie es im Buch steht? Hagen Peukert: „Ja.“ Und – darf er denn überhaupt so detailliert über die Ereignisse schreiben, gibt es keine Geheimhaltungsklausel? Hagen Peukert: „Ich war nicht für die Bundeswehr in Syrien, sondern für die Vereinten Nationen. Die habe ich 2013 verlassen. Man soll sich immer fünf Jahre lang mit Äußerungen zu den Vorgängen zurückhalten, die sind inzwischen verstrichen. Im Buch sind ja auch keine operativen Geheimnisse verarbeitet.“
Wie kann ein Buch dabei helfen, den Syrien-Konflikt besser zu verstehen? Hagen Peukert: „Das Buch konfrontiert uns mit einem Stück harter Wahrheit und reißt uns aus der Komfortzone. Es ist ein Beitrag zur Wahrheitsverbreitung. Und – zumindest in Bezug auf das Herkunftsland Syrien hilft es auch dabei, die Flüchtlingsproblematik zu überdenken. Man entwickelt mehr Verständnis und Mitgefühl. Ich war in Syrien, ich war fünf Mal in Afghanistan, ich war im Irak: Ich weiß schon, warum diese Menschen ihre Heimat verlassen. Niemand verlässt seine Heimat einfach so und lässt Familie und Existenz zurück – wenn er denn noch eine hat.“
Hagen Peukert lebt zurzeit in Falkensee – und zwar bereits zum zweiten Mal: „2008 waren wir zum ersten Mal in Falkensee, dann ging es von hier aus weiter nach New York. 2019 sind wir wieder zurück nach Falkensee gezogen – nach Stationen in Izmir und Lissabon. Wir werden Falkensee auch wieder verlassen. Wenn ich in den Ruhestand gehe, werden wir 2022 wieder aufbrechen. Den genauen Zielort kenne ich noch nicht. Es wird aber wohl ein Ort in Europa sein.“
Wenn der Bundeswehr-Offizier noch Freizeit findet, liest er selbst sehr viel oder ist mit seinen Hunden im Wald und auf den Wiesen unterwegs: „Sport kann ich nicht mehr machen. Es gibt eine Szene im Buch, in der eine Unterkunft von einer Rakete beschossen wird. Es ist ein Blindgänger, der im Treppenhaus landet. Da bin ich ein Stockwerk tief gefallen, die Nachwehen plagen mich noch immer.“ (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „Unser Havelland“ Ausgabe 179 (2/2021).
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